Zwei am Fenster

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Zwei am Fenster

Ein 89er Freiheitskämpfer schaut montags aus dem Fenster

Da demonstrieren sie wieder. Die Gegner. Die ewig Betrogenen.
Sind das da unten nicht Katrin und Thomas? Aus der Gemeinde? Bring mir doch mal bitte das Fernglas, Silke.
Tatsächlich, das sind sie. Wollten die sich nicht scheiden lassen? Tja, ein gemeinsames Ziel bringt sie wieder zusammen.
Und da drüben Kerstin und Ralf. Hand in Hand. Einig wie nie. Das hast du noch nie gesehen, Silke!

Was brüllen sie da? Frieden, Freiheit, Souveränität?
Ja, aber die Freiheit haben wir doch jetzt!? Sonst könnten die doch gar nicht auf die Straße gehen, mit ihren Parolen!
Sind wir dafür damals auf die Straße gegangen, neunundachtzig? Hinter uns die Wasserwerfer. Wir wussten nicht, ob wir den Montag zuhause oder im Knast beenden. Die Gefahr! Die Angst! Damit die jetzt hier ihre idiotischen Parolen rumbrüllen können? Und dabei sogar vergessen, dass sie sich scheiden lassen wollen?
Was ist denn das hier? Eine Partnerverkittungsaktion oder was?

Wen wollen sie unterstützen? Putin? Ja, merken die es noch? Wissen die nicht, dass man mit Diktatoren nicht reden kann? Die sind gefährlich, brandgefährlich sind die.
Sie sind bestimmt bezahlt, vom KGB oder wie der jetzt heißt. Es ist kaum auszuhalten.
Silke, reich mir doch mal ein Bier. Das alkoholfreie. Ja, ich weiß, dass es zieht. Ich mache das Fenster gleich zu.
Jetzt kommen die Schwurbler. Die nun auch noch. „Die Verbrechen der Coronahetze aufklären“.

Und jetzt die Kriegsgegner. „Frieden schaffen ohne Waffen.“ Für diese Parole ist Bernd in den Knast gegangen, damals, als Putin und sein KGB noch hier in der Angelikastraße herumschnüffelten! Und jetzt wollen sie ihm sein Großreich wiedergeben! Mit derselben Parole, für die dich Putin und seine Kumpels damals hinter Gitter gebracht hätten! Es ist abartig!

Nein, das ist nicht zu ertragen. Silke. So viel Blödheit. Ich halte das nicht aus.
Ich? Da runtergehen? Zur Gegendemo? Silke, seit 33 Jahren war ich auf keiner Demo, und das weißt du. Ich habe damals für die Freiheit gekämpft. Freiheit, verstehst du? Meinungsfreiheit, Reisefreiheit, Redefreiheit. Und jetzt kommen diese Idioten und missbrauchen sie.

Silke. Komm doch mal gucken. Das sind welche, die haben noch nicht mal kapiert, dass man auf die Schilder etwas schreibt, wofür man kämpft. Vor lauter Dagegensein haben die draufgeschrieben, wogegen sie sind. „Krieg und Verrat“! Da demonstriert einer für Krieg und Verrat! Und dort die beiden Steppjackenträger demonstrieren für „Medien- und Staatshetze gegen das eigene Volk“.
Wie bekloppt sind die denn eigentlich?
Und denen laufen Tausende hinterher.
Wozu brauchen wir denn Meinungsfreiheit? Dafür, dass diese Idioten auf der Straße herumbrüllen?
Jaja, Silke, ich weiß, Katrin und Thomas sind keine Idioten. Katrin jedenfalls nicht. Bei Thomas bin ich mir da nicht so sicher.

Silke, jetzt klingt es wie in der Kirche. So eine Litanei mit Wiederholungen.
Gegen blablabla!
Auf die Straße!
Gegen blöblöblö!
Auf die Straße!
Ja, ich mache das Fenster zu. Gleich.

Silke, was machst du denn da? Auf den sozialen Medien siehst du doch auch nichts anderes als hier am Fenster. Mach doch den Computer aus, der verbraucht nur Putins Energie, und komm mal rüber. Und bring mir doch mal ein alkoholfreies Bier. Bitte.

Silke. Jetzt mal ehrlich. Brauchen wir die Meinungsfreiheit wirklich, wenn das, was herauskommt, dieser Schwachsinn ist?
Ich ertrage das nicht. Haben wir doch noch Bier mit Alkohol da? Oder besser einen Korn?
Silke? Da war doch vorigen Montag noch eine halbe Flasche Korn …?

Silke? Was hast du da? Ist das ein Schild? Willst du zur Gegendemo? Ich komme mit. Irgendwas muss passieren. Man muss was machen. Dagegen. Gut, dass du den Korn nicht gefunden hast, sonst könnte ich jetzt doch nicht mehr runtergehen.
Was steht da drauf? Auf deinem Schild?

Silke. Das ist jetzt nicht dein Ernst. Das ist das Dümmste, was ich jemals … Du kannst doch nicht wirklich Putin … Nur weil wir Meinungsfreiheit haben, heißt das doch nicht …
Silke!
Du gehst da nicht hin! Wenn du mit diesem Schild da runtergehst und mit diesen Leuten …
SILKE! Lass sofort das Schild los!
Nein!! Dazu ist Meinungsfreiheit eben NICHT da!
Du gehst da nicht mit! Nur über meine Leiche!
Oder über deine.
Silke.

***


Ein Unzufriedener schaut montags aus dem Fenster

Sie demonstrieren wieder. Endlich. Endlich erwacht Deutschland.
Sind das da unten nicht Katrin und Thomas? Aus der Gemeinde? Bring mir doch mal das Fernglas, Sandra.
Tatsächlich, das sind sie. Wollten die sich nicht scheiden lassen? Tja, ein gemeinsames Ziel bringt sie wieder zusammen.
Und da drüben Kerstin und Ralf. Hand in Hand. So hab ich die noch nie gesehen. Neue Zeiten brechen an.

Was rufen sie da? Frieden, Freiheit, Souveränität?
Jawohl. Lauter!
Das versuchen sie uns alles zu nehmen. Die Regierung. Alles Weicheier, gekauft vom Ami.

Gut dass Kathrin und Thomas wieder zusammen sind. Eine deutsche Frau muss auch mal verzeihen können.

Sandra, reich mir doch mal ein Bier. Das Fenster bleibt offen! Ja, ich weiß, dass es kalt wird. Aber in solchen Zeiten muss man auch mal Opfer bringen. Dreh die Heizung hoch.
Sandra! Die Heizung bleibt an! Das wollen die da oben ja nur, dass wir frieren, mit ihren Gaspreisen versuchen die uns fertigzumachen, und sie sitzen mit ihren Ärschen auf dem Gas und bereichern sich. Und uns versuchen sie das letzte Hemd abzunehmen.

Das Fenster bleibt auf!! Ich will das hören. Endlich erwacht jemand. Hör doch mal die Trommeln!

Nein, Sandra, red keinen Quatsch, das sind doch keine Kriegstrommeln. Frieden wollen wir!
Hör doch mal hin: Frieden Freiheit, Souveränität! Nicht die da unten mit unseren schönen Waffen versorgen, damit dieser Konflikt ewig noch so weitergeht, und der ami sich bereichert. Und die Kriminellen, die sich bei uns Regierung nennen. Da! Guck! „Frieden schaffen ohne Waffen“! Da hast du es schwarz auf weiß! Komm doch mal her, wenn du es nicht glaubst! Und bring mir noch ein Bier mit. Geiler Sound. Frieden, Freiheit, Souveränität! Frieden, Freiheit …

Freiheit, verstehst du, Sandra? Meinungsfreiheit, Reisefreiheit, Redefreiheit. Dafür sind wir damals auf die Straße gegangen. Und jetzt wollen sie uns das wieder nehmen.
Was? Ich war nicht auf der Straße? Klar war ich auf der Straße! Natürlich nicht am Anfang. Das war doch viel zu gefährlich, Sandra! Aber dann, als die Massen kamen! Da waren wir doch beide auf der Straße! Mindestens zweimal! Was für ein Gefühl! Weißt du es nicht mehr, Sandra?

Sandra. Komm doch mal gucken. Und das Bier ist auch schon wieder alle. Bring mal gleich zwei mit.
Guck mal, die Schilder!
Da! „Krieg und Verrat“! Genau! Das ist es!
Was? Wieso? Natürlich ist der GEGEN Krieg und Verrat. Nicht dafür! Sieht man doch.

Sandra, jetzt klingt es wie in der Kirche. Eine Litanei. Herrlich.
Gegen Verrat!
Auf die Straße!
Gegen den Staat!
Auf die Straße!

Sandra, was daddelst du denn da die ganze Zeit rum? Auf den sozialen Medien siehst du doch auch nichts anderes als hier am Fenster.

Was hast du da? Ist das ein Schild? Willst du zur Demo? Ich komme mit. Endlich wehrt sich mal jemand. Deutschland wacht auf. Aber ich muss erst noch pissen.
Was steht da drauf? Auf deinem Schild?
„Dresden gegen Rechts“? „Wir haben Meinungsfreiheit, deshalb könnt ihr ja hier herumbrüllen“?
Was meinst du denn damit? Wen …

Sandra. Das ist jetzt nicht dein Ernst. Du kannst doch nicht wirklich …
Sandra!
Du gehst da nicht hin! Wenn du jetzt zur Gegendemo gehst …
SANDRA! Lass sofort das Schild los!
Du verdammte Nutte! Triffst du dich da mit diesem …? Glaubst du, ich merke das nicht? Du gehst da nicht hin! Nur über meine Leiche!
Oder über deine.
Sandra …

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Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Jonas

    Super cool! Musste den zweiten Part unwillkürlich mit heimischem Dialekt lesen, das hat so Spass gemacht!