Als die christlichen Missionare den heidnischen Germanen die neue Religion bescherten, haben sie sich entschieden, das heilige Geburtsfest in die wilde, dunkle, von seltsamen Bräuchen geschwängerte Sonnenwendzeit zu plazieren. Vielleicht hofften sie damit, dem teutonischen Chaos von Grünzeug, Lichtergezündel und –geknall, Orakelei, alten, aus dem Walde kommenden Männern und wüster Geisteraustreiberei Herr zu werden, mit dem diese finstere Zeit bis dahin einher ging.
Es ist ihnen tatsächlich gelungen, das kleine Jesuskind mit seiner jungfräulichen Mutter und seinem irgendwie randständigen Adoptivvater nebst landwirtschaftlichen Nutztieren dort hinein zu verankern. Das immergrüne Nadelgezweig wurde als Lebenssymbol einfach mit dazugeordnet, und die Lichter sind ja als Symbol wie ein gutes Gedicht: vielseitig interpretierbar. Das heidnische Sonnenwendgeknall wurde einfach um eine Woche nach hinten ausgelagert und darf nun hemmungslos und von allen christlichen Einschränkungen befreit den wahrscheinlich schon lange tauben Heiligen des letzten Tages, Silvester, auf seinem trunkenen und lärmenden Weg ins neue Jahr mitzerren.
Schwieriger wurde es schon mit dem bejahrten und in den nördlichen Wäldern heimischen väterlichen König des Frostes, der dieser Jahreszeit anhaftet wie der Wunsch nach Schnee den Kindern und Nichtautofahrern. Versuche, ihn mit einem barmherzigen Bischof zu vereinigen, führten schließlich zu einem weiteren Festtag, nicht aber zur Eliminierung des Alten.
Nach der Übernahme des kälteliebenden hinterwäldlerischen Geschenkebringers durch die clevere Promotion-Abteilung des Coca-Cola-Konzerns steht nun wenigstens die Farbgebung des Alten fest.
Und so haben wir jetzt ein fröhliches Durcheinander von christlichem Krippengeschehen, rotweißem Weihnachtsmann, Weihnachtsbäumen, Kränzen, Lichtern und Geglitzer aller Art und, später, wildem Neujahrsgeknall.
Durch all das führt uns eine Unzahl von Zusammenkünften von Menschen, die das restliche Jahr über in irgendeiner Weise miteinander verbunden sind. Schulklassen, Schulen, Vereine sportlicher und anderer Art, Gemeinden, musikalische und andere Kreise, Arbeitskollegengemeinschaften und überhaupt alles, was im weitesten Sinne die Bezeichnung menschliche Gruppe verdient, rüstet zur Weihnachtsfeier. Als wäre es damit nicht genug, wird spätestens im Dezember in jedem und jeder Einzelnen, gleich einer Grippeinfektion, eine immer hartnäckiger werdende Stimme laut, die ihn daran erinnert, wie viele Menschen er zu seinem Verwandten- und Bekanntenkreis zählt. Dies wäre eigentlich eine schöne und Wohlbehagen verursachende Stimme, würde sie nicht im gleichen Atemzug verlangen, all diesen Menschen einen Gruß zukommen zu lassen.
Auf diese Weise entstehen Fluten von formularartigen, von allerbesten Wünschen tief erfüllten Brief- und E-Mailsendungen, die Mailkonten zum Einsturz zu bringen drohen und die Angestellten der Post (die ihrerseits ja auch noch zur Postangestelltenweihnachtsfeier und zur Weihnachtsfeier des Schwimm- bzw. Schachvereins der Postangestellten müssen und ihre Kinder zwischendurch zu Schul-, Klassen- und Sportvereinsweihnachtsfeiern zu bringen haben), an den Rand des Wahnsinns bringen. Ein Besuch beim Psychiater, in diesem Zustand empfehlenswert, muss ihnen aber verwehrt bleiben, denn die Psychiater sind mit ihren Sprechstundenhilfen auf Psychiater-und-Sprechstundenhilfenweihnachtsfeiern.
Um dem Weihnachtskartengrußproblemkomplex mit Individualität zu begegnen, verfassen manche Selbstschreiber Jahresendrundbriefe, in denen sie sich dafür entschuldigen, dass sie einen Rundbrief schreiben. Bei denen, die einen solchen Brief bekommen, sind diese Rundbriefe gefürchtet, denn, da sie an sehr viele gerichtet sind und da sich der Schreiber ja nun mal Zeit genommen hat für einen Brief, sind sie sehr lang und enthalten ausführliche und nicht immer erwünschte Details zu Gesundheitszustand und Urlaubserlebnissen der Schreiber.
Um die Zeitnot ins Unermessliche zu treiben, stellt sich, je nach Vermögen zur Vedrängung beginnend von Oktober bis Dezember, ein unerklärlicher Zwang zum Erwerb von in buntes Papier gewickelten Konsumgütern ein. Trotz herzlicher und wiederholter Versicherungen, dieses Jahr Geschenke weder erhalten noch austeilen zu wollen, durchdringt diese geheimnisvolle Kraft die Psyche jedes vorweihnachtlich Gestimmten und treibt selbst hartnäckigste Weihnachtsverweigerer spätestens gegen Ende des Advents durch die Tempel des Kaufs, wo sie die verwunderlichsten Dinge erwerben.
Durch all dies Chaos dringt das dünne Stimmchen der eisern auf Andacht und Besinnung Bestehenden, die mit an Ignoranz grenzender Hartnäckigkeit versuchen, die Zeitprobleme der armen, übermüdeten Weihnachtszeitkämpfer als schlichtes Organisationsproblem abzutun.
Ach ja! rufen diese dann, Besinnung! Das wäre schön! Das wünsche ich dir auch! Aber man hat ja so viel, man kommt ja nicht dazu, einmal, es wird ja immer, es ist ja jedes Jahr wieder…
So lasst uns denn singen, das Kripplein anbeten, Lichter entzünden, Glitzerzeug überallhin hängen, mit Geschenken um uns werfen, dem rotweißen Alten zuprosten, silvesterknallen, Massenmails verschicken und empfangen und uns in zahllosen kommunikativen Weihnachtsveranstaltungen glühweinselig mit unseren Mitweihnachtsgejagten die alljährlichen Klagen austauschen.
Eine frohe Heilige Mittwinter-Nacht!