Krischan war ein ganz normaler Kröterich. Nun ja, fast. Er war warzig und graubraun wie die anderen Kröten. Er hatte ein sehr breites Maul, dünne, weiche Beine und einen komischen spitzen Po. Er kroch langsam und behäbig durch seine Welt, die aus dem kleinen Tümpel und dem Erdloch unter den Wurzeln der alten Kiefer bestand.
Eine Eigenschaft aber unterschied ihn von den anderen Kröten: Er fand sich nicht besonders schön. Eigentlich fand er sich ziemlich hässlich, und das Schlimme daran war: Er hatte recht.
Er war wirklich nicht schön.
Wieso er das wusste, und die anderen Kröten wussten nicht, wie hässlich sie waren? Hatte er einen Spiegel?
Nein.
Guckte er sich im Wasser des Teichs an?
Nein. Versuch das mal, wenn deine Augen nur einen Zentimeter höher als das Wasser sind und in zwei Richtungen gucken.
Hat er etwa an einem Schönheitswettbewerb teilgenommen?
Aber nein!
Der Grund für sein unangenehmes Gefühl, das Gefühl, hässlich zu sein, nicht nur einfach hässlich, sondern richtig hässlich, dieser Grund war – Lilly.
Lilly war eine Libelle, die auch in dem kleinen Teich bei der alten Kiefer wohnte. Jede Stunde kam Lilly aus ihrer Blume heraus, in der sie ihren stündlichen Schönheitsschlaf machte, und reckte und streckte ihre wunderschönen Flügel, die in allen Farben schillerten. Lilly war so schön, dass die Sonne noch ein bisschen sonniger wurde, wenn sie auf ihren leuchtenden Körper schien. Sie war so schön, dass die Wasserläufer bei ihrem Anblick in Scharen zusammengerannt kamen und sich gegenseitig in ihren Beinen verhedderten, weil sie nicht guckten, wo sie hinliefen. So schön war sie, dass die alte Kiefer, wenn sie sich auf eine ihrer Nadeln setzte, bedenklich zu seufzen und zu knarren begann und die Kröten, die unter ihren Wurzeln im Erdloch wohnten, beunruhigt aus ihren Löchern krochen.
So kam es, dass auch Krischan eines Tages herausgekrochen kam und Lilly erblickte. Und da war es um ihn geschehen.
Ist die schön! dachte er, und dann dachte er eine lange Weile nichts anderes mehr.
Das nächste, was er dachte, war: Bin ich hässlich!
Und, wie gesagt, er hatte damit recht.
Diese Erkenntnis machte den armen Krischan so traurig, dass er krank wurde. Er bekam Bauchweh. Er bekam Kopfweh. Er bekam Krötenschnupfen. Er bekam Warzenweh!
Er war so krank, dass er wochenlang nicht in die Krötenschule gehen konnte. Seine Krötenklassenkameraden kannten ihn schon fast nicht mehr, weil er nie da war, und seine Mama hatte schon wunde Krötenfinger vom dauernden Entschuldigungen-Schreiben.
Als sein Warzenweh immer schlimmer wurde, brachte ihn seine Mama zu Doktor Salamander, dem Teicharzt. Der horchte Krischan mit seinem Eichelbecher-Hörgerät ab, guckte ihm in den Krötenschlund und sprach dann hochgebildet und tiefbesorgt: „Es müssen die Buntpocken sein. Eine uralte Krankheit, die bisher als ausgestorben galt. Ich kenne sie nur aus den Überlieferungen meiner längst verstorbenen Kollegen, der steinalten Steinsalamander. Geben Sie ihm viel Tümpelwasser zu trinken, betupfen Sie die betroffenen Warzen vorsichtig mit Molchpipi und lassen Sie ihn am besten in seinem Bett im Loch unter der Kiefer, bis es besser wird.“
„Oh heilige Mutter Erdkröte!“, rief Krischans Mama aus. „ Die Buntpocken? Sind Sie sicher?“
Und sie schlich mit Krischan zurück zum Erdloch unter der Kiefer, immer von Kuhle zu Kuhle, damit ihn möglichst niemand sah mit seinen fürchterlichen, uralten, eigentlich ausgestorbenen Buntpocken.
Aber jemand sah ihn trotzdem. Von ihrem hohen Platz auf der Kiefer, wo sie einsam und unglaublich schön vor sich hin hockte, guckte die Libelle Lilly hinunter auf die dunkle Erde und sah etwas wunderschön bunt Leuchtendes aufblitzen und sich immer wieder hinter Wurzeln verstecken. Ein aufgeregtes Zucken ging durch ihren bunten formschönen Körper, und etwas nie Gekanntes, Aufregendes, gegen das nicht einmal eine wunderschöne Libelle etwas machen kann, ergriff von ihr Besitz.
„Ach, ist das schön!“ rief sie mit ihrer schillernden musikalischen Libellenstimme. „Was ist das denn? Wer bist du denn?“
Krischan hörte den Begeisterungsruf und blickte sich nach rechts und links, vorn und hinten um, sah aber weit und breit niemanden außer seiner Mutter. Seine Mutter sah sich auch um und sah niemanden außer Krischan.
Da kam Lilly heruntergeflattert und schrie vor Begeisterung noch einmal: „Bist du schön! BIST DU SCHÖN!“
Sie drehte vor Begeisterung Pirouetten in der Luft, dass es nur so glitzerte und in allen Regenbogenfarben funkelte.
Von dem freudetrunkenen Lärm kam die ganze Belegschaft des Teiches angelaufen, gekrochen, geflogen und geschwommen.
Krischan guckte verwundert zu Lilly, und wie er so in der Sonne stand und guckte, merkten alle, dass die Krötenwarzen auf seinem Körper auch in den schönsten Farben des Regenbogens leuchteten.
Die Buntpocken hatten Krischan zur schönsten Kröte, sogar zum schönsten Tier des gesamten Tümpels und der Erdhöhle unter den Wurzeln der alten Kiefer gemacht. Selbst Lilly, die vor Verzückung noch immer außer sich war, übertraf Krischan micht an Schönheit, aber das war ihr völlig egal, denn etwas Großes hatte sich in ihr breit gemacht, das keine Krankheit oder Hässlichkeit je wieder weg kriegen konnte: Die schöne Lilly war verliebt in den hässlichen Kröterich Krischan.
Und all das kam nur von den ollen, grässlichen, eigentlich schon ausgestorbenen Buntpocken.