Schön, dass wir Nachbarn sind

Hannes aus dem vierten Stock

Alter. Ich halts nicht aus. Was sich die Lehrer ausdenken, wenn sie allein zu Hause sind. Acht Arbeitsblätter an einem Tag. Gehts noch? Und dann Mama immer im Nacken, twentyfourseven.  Dass ich mich mal drauf freuen würde, EINKAUFEN zu gehen! Alter, wie tief kann man sinken? Vorhin hat Mama wieder so eine Aktion gefunden, „Schön, dass wir Nachbarn sind“, peinlich. Und ich soll das Netz jetzt Herrn Grau an die Tür hängen. Hoffentlich guckt er nicht, wenn ich das mache. Ja Mama, ich geh runter, gleich geh ich, ich bin hier mitten im Physikunterricht, geht’s noch?

Herr Grün aus dem dritten Stock, ausgestiegener Lehrer

Ein Stress! Man kommt zu nichts! Den ganzen Tag habe ich Videoclips erstellt und an alle meine ehemaligen Kollegen geschickt. Endlich haben die Lehrer mal frei, und die Eltern sehen, was es heißt, sich mit ihren Gören herumzuärgern. Ein Gepolter von früh bis spät!

Gerade hat das Bürschchen von obendrüber irgend etwas an meiner Tür gemacht, ich habe doch etwas gehört.

„Schön, dass wir Nachbarn sind.“ Na so was. Und Pralinen! Die nehme ich. Den Zettel hänge ich eins weiter nach unten.

Komisch, keiner antwortet mir auf die Videoclips. Ich schicke sie einfach noch mal.

Herr Lundström aus dem zweiten Stock, der eigentlich nach Hause will, aber bei seiner Freundin gestrandet ist

Was ist denn das für ein Zettel? Ich bin nicht dein Nachbar! Ich will nach Hause! Die spinnen, die Deutschen. Kappen das ganze Leben, jetzt wo es warm wird.

Bauen sogar die Parkbänke ab. Alles, damit, let’s face it, die Alten länger leben können. Und die Pfleger aus Osteuropa nehmen sie ihnen auch weg. Dann sind die Alten allein, können nicht mal in den Park gehen, aber sie leben länger!

Sperren ihre Kinder ein und wickeln Absperrband um die Spielplätze! Desinfizieren alles, was ihnen unter die Finger kommt. Schicken ihre Polizei in Streifenwagen durch die Parks, um Leute aufzuspüren, die ein bisschen Freude am Leben zeigen.

Ich hänge den Zettel mal nach unten, ich glaube, da wohnt eine Oma, die kann ja nun nicht mehr raus. Im Schrank war doch noch Schokolade. Die stecke ich mal mit dazu.

Die Oma, die nun nicht mehr raus kann, aus dem ersten Stock

Ich bin keine Oma. Ich bin Seniorin. Ordnung muss schon sein. Auch bei der Sprache. Wenn man nicht auf Ordnung achtet, kann man gleich aufhören. Ich achte auf mich. Wissen Sie, wie schwer es ist, auf sich zu achten, wenn man allein lebt? Das geht bei der Unterwäsche los und hört mit der Esskultur noch lange nicht auf. Alles in Ordnung und sauber zu halten, auch wenn man weiß, dass niemand guckt? Und jetzt guckt ja wirklich gar niemand mehr. Nicht einmal Fräulein Löber von obendrüber. Hängt mir Schokolade und einen Zettel an die Tür, „Schön, dass wir Nachbarn sind“, statt mal auf ein Schwätzchen reinzukommen. Das Ganze steckte in einem alten Kartoffelnetz, das hätte sie sonst entsorgen müssen. Pfiffig, die Jugend. Ich werde das Kartoffelnetz und die Karte weitergeben an Herrn Dause aus dem Parterre. Der wird sich wundern, der alte Griesgram.

Herr Dause, Griesgram, Parterre

Was soll das? „Schön, dass wir Nachbarn sind“. Es ist nicht schön. Schön ist überhaupt nichts mehr. Die Kinder kommen gar nicht mehr. Nur gestern sind sie plötzlich aufgetaucht, angetan mit Masken, ich dachte erst, es handele sich um einen Überfall. Vom Tempo her war es auch wie ein Überfall. Im Nu waren sie wieder weg. Einen Riesenhaufen Einkäufe habe sie dagelassen.

Was soll ich denn mit so viel Essen? Und mit dem vielen Klopapier? Denken die, ich habe so viel Schiss vor diesem Virus? Vor dem Tod? Aber warum denn?