Für Josa, einen wunderbaren Menschen und einen der besten und ehrlichsten Künstler, die hier die Welt zum Klingen bringen.
Vom Kleinen Prinzen, der richtig gut sein wollte
Ein Märchen,
bei dem man etwas Geduld haben muss, aber es kommt dann doch noch aus dem Knick
Da war, ich weiß nicht wo, aber ich weiß wann, und das sollte euch jetzt einfach mal reichen, man kann nicht alles wissen, auch wenn manche Leute behaupten, dass man alles wissen kann. Aber wenn ihr diese Leute fragt, wann denn, wann werden wir alles wissen, da sagen sie: Irgendwann. Und daran seht ihr, dass sie es auch nicht wissen, und dann könnt ihr sagen: Ertappt! Aber das ist eigentlich unhöflich, selbst gegenüber solchen gefaketen Alleswissern.
Also, wo ist jetzt wirklich mal egal, sagen wir, irgendwo in unserer Galaxie. Und wann? Zur Zeit der wilden Sternschnuppen war das, und genauer als die Sterne geht es ja wohl nicht. Da war plötzlich ein Baby. Also plötzlich ist ein bisschen übertrieben, aber wer sich ein kleines bisschen auskennt mit Geburten und so, der weiß schon, was ich meine.
Also da war ein Baby. Ein Prinz. Ein kleiner Prinz. Ein Kleiner Prinz mit großem K. Er schlief und trank und machte diese herrlichen kleinen schniefigen Baby Noises und plärrte und kackte, na was Kleine Prinzen halt so tun.
Da spulen wir jetzt mal vor. Kann man im Märchen mal machen, geht im Leben nicht, sonst wären wir alle alt und tot, weil alle Leute immerzu vorspulen würden, weil ihnen was nicht passt oder weil das Internet nicht geht und sie Langeweile haben.
Wir spulen vor bis zu der Stelle, wo der Kleine Prinz nicht mehr nur schlief und trank und kackte und so, sondern plötzlich etwas sagte.
Wie das mit dem plötzlich zu verstehen ist, habe ich oben schon mal erklärt.
Hier ist, was er sagte. Es braucht eine Verzögerung, eine Zeitdehnung, eine Einleitung, sogar eine extra Leerzeile, denn es ist ein fundamentaler Satz, den der Kleine Prinz sagte.
Er sagte: Ich will gut sein. Richtig gut.
Es war an seinem Geburtstag; die Sternschnuppen stoben, dass es nur so funkte, die Kronkorken von Apfelwein und Bier ploppten, die Geburtstagsgäste waren schon halb hinüber vom vielen Anstoßen und von Königsberger Klopsen und Prinzenrolle. Und da sagte der diesen Satz.
Die Prinzenerzieher und Höflinge und Gratulanten antworteten: Aber ja, Kleiner Prinz, du bist doch gut, du bist der beste Kleine Prinz überhaupt. Aber der KP, ihr cleveren Typen wisst sicher, wer gemeint ist, ich mache das aus Gründen der Ökonomie von jetzt an, also der KP durchschaute das. Er war ja der einzige KP weit und breit, also: wie konnte er der beste sein? Das war nicht logisch, und er liebte die Logik, die Naturwissenschaft, er liebte sie, obwohl er im Herzen ein Künstler war, aber das wusste er da beides noch nicht. Er wusste nur, dass er gut sein wollte. Richtig gut.
„Entschuldigt bitte“, sagte der KP höflich zur angestoßenen und vollgefressenen Geburtstagsgesellschaft, „es tut mir sehr leid, aber ich will gut sein. Richtig gut. Und da muss ich jetzt mal los, so lange mir die Sternschnuppen noch leuchten mit ihrer sommerlichen Hyperaktivität. Ihr könnt gern noch alles aufessen und so, das ist völlig OK. Räumt dann halt hinterher die Teller weg, das wäre nett von euch.“
Und damit ging er rüber ins KP-Zimmer und schnürte sich ruckzuck ein Bündel mit dem Allernötigsten, denn er hatte das Thema schon ein bisschen researcht und gelesen, dass man zum Gutsein möglichst wenig dabeihaben sollte. Also, Zahnbürste, Wechselschlübbi, Krone. Das gebatikte T-Shirt, das Fernglas vom VEB Carl Zeiss wegen der Sternschnuppen, seine Harfe und seine Tuba.
Und wer mal versucht, aus diesen Gegenständen ein Bündel zu schnüren, der weiß, wie ernst es ihm war.
Das Bündel übergeworfen und los gings. Die verdutzte Geburtstagsgesellschaft konnte gar nicht so schnell gucken, wie der KP weg war.
Er zog also in die Welt. In die Galaxie. Wie auch immer. Und wer den KP kennt und ordentlich gelesen hat, der weiß, dass ihm da seltsame Leute begegneten: Ein Bruchpilot. Einer, der immer sein virtuelles Geld zählte. Einer, der soff und sich dafür schämte und gleichzeitig andersherum. Einer, der sich einbildete, der Präsident von der Sonne und allem zu sein. Ein Fuchs, der sein Freund sein wollte, nur damit der KP hinterher schön traurig wird. Ein als Blume getarnter Nölarsch unter einer Käseglocke, der den KP ganz schön auf Trab hielt. Und so weiter.
Der KP wunderte sich erst, was die da alle für einen Scheiß bauen, und dann geriet er darüber in eine fürchterliche verzweifelte Wut, und das könnt ihr sicher verstehen. Vor allem, wenn ihr mal bedenkt, dass er ja eigentlich nur gut sein wollte, richtig gut.
Er setzte sich unter oder neben oder zwischen seine Sternschnuppen, was weiß ich, wie das gravitationsmäßig zu machen ist, bin ich Physiker? Jedenfalls setzte er sich und fasste seine Verzweiflung darüber, dass ihm niemand zeigte, wie man gut ist, in ein Lied.
Er sang es, aber es war ihm noch nicht gut genug. Er spielte es auf der Harfe, und da war es schon sehr gut, aber ihm immer noch nicht gut genug. Ihr versteht jetzt vielleicht langsam, was für ein Typ der KP war. Also spielte er es noch auf seiner Tuba.
Er sang, harfte und blies so schön, dass die Himmelschlüssel bimmelten und die Sterntaler herabregneten. So schön, dass die Sternschnuppen ihm zu Füßen fielen und Kinder von ihm wollten.
Ihr spinnt wohl, sagte der KP und guckte sie rückwärts durch sein Carl-Zeiss-Fernglas an, damit sie nicht so nah rankamen.
Natürlich ist so eine Reaktion ziemlich unhöflich, wenn jemand einem zu Füßen fällt und Kinder von einem haben will, aber dem KP war einfach etwas blümerant geworden. Das müsst ihr verstehen. Und außerdem fand er das von den Sternschnuppen völlig übertrieben, denn – ihr könnt es euch schon denken: Er fand sich nicht gut. Also nicht richtig gut.
Also zog er weiter mit seinem kleinen Bündel und lernte ein Handwerk. Und dann noch eins. Und noch eins. Welche Handwerke das waren, kann ich jetzt so auf die Schnelle auch nicht sagen, ich kann mir doch nicht alles merken, Herrgottnochmal. Er lernte jedenfalls Handwerk, baute Haus, pflanzte Baum, zeugte Sohn, das volle Programm, wie es in diesen frauenverachtenden patriarchalen Sprichwörtern steht.
Aber. Na klar. Ihr ahnt es schon. Er fand es nicht gut. Nicht so richtig gut. Versteht mich jetzt nicht falsch, er war kein Meckerer, kein Nölarsch. Er war von einem Nölarsch so weit entfernt wie der amerikanischer Präsident von der Menschenliebe. Der KP freute sich über das Gute, das er überall sah, und liebte das Leben, die Wissenschaft, die Natur und so weiter.
Aber.
Der Sohn wollte nicht Tuba spielen.
Der Baum war ein Rhododendron. Invasive Art. Breitet sich aus wie blöd. Das ganze ökologische Gleichgewicht des Planeten im Arsch.
Das Haus war nicht so richtig gut. Der KP hatte es aus Versehen verkehrtherum gebaut. Wände innen, Möbel außen und so. Die ganze schöne Isolation für die Katz. Die Kochplatte samt Bratkaroffeln draußen im Regen.
Kann ja mal passieren. Aber, ihr wisst schon. War halt nicht so richtig gut. So wie die ganze Galaxie. Ungutes, wohin man guckt. Die Häuser wuchern, die Bäume müssen den Invasiven weichen, das Eis schmilzt, die Kinder verblöden, keiner spielt Tuba.
Da nahm der KP seine Harfe und seine Tuba und sang und spielte ein Lied. Und er sang und spielte es so herzbewegend wunderschön, so seelenvoll ergreifend, so innigst verwoben, dass alle Sterne und alle Planeten mit ihren Bruchpiloten und Trinkern und Zählern und Präsidenten und Füchsen und Nölärschen und Käseglocken, alle verkehrtherummen Häuser, verblödeten Kinder und invasiven Baumarten mitschwangen, mitsangen und mitklangen. Von den Sternschnuppen mit ihren unerfüllten Kinderwünschen mal ganz zu schweigen.
Glaubt mir, das war gut. Richtig gut. Und deshalb verlassen wir jetzt den Kleinen Prinzen, bevor er wieder etwas anderes behaupten kann, und bauen dieses Undwennernichtgestorbenist hier rein. Denn dann lebt er noch heute.
Und wenn ihr in den warmen Nächten, den ganz warmen Nächten im Sommer, zu den Sternen guckt und euch ganz fest wünscht, gut zu sein, nicht nur gut in Mathe oder Englisch, sondern richtig gut, dann könnt ihr ihn hören, den KP, mit seinem richtig guten Lied von der Unmöglichkeit, richtig gut zu sein.
timue 2020